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1. Februar 2007
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede Kultur, jede Epoche, jede Gesellschaft, jede Weltanschauung zeichnet sich durch einen ihr eigenen, ganz besonderen Umgang mit dem Tod und mit dem verstorbenen Menschen aus. Was der einen Kultur heilig ist, unverrückbarer Bestandteil ihrer Trauerarbeit und das Bestattungswesen, löst bei anderen Kulturen Unverständnis aus, ja im Extremfall sogar Ablehnung. Schnell sind wir in diesem hochsensiblen Bereich von Gefühlen und Werten dabei, die Gefühle und Werte Andersdenkender zu verletzen oder auch zu überschreiten.
Daher braucht es in einer modernen, in einer aufgeschlossenen Gesellschaft einen Dialog des gegenseitigen Verständnisses und des gegenseitigen Respekts vor den verschiedenen Kulturen, Ansichten und Weltanschauungen. Darauf hat auch Frau Kollegin Hofmeyer hingewiesen: Wir brauchen die Berücksichtigung des Wandels in den Lebensgewohnheiten. Sonst sind wir neben den Menschen und erfüllen nicht mehr das, was sie von uns verlangen. Wir setzen gesetzliche Rahmen, die neben den Bedürfnissen der Menschen liegen. Ich finde, das sollten wir als Landesgesetzgeber nicht tun. Dann fühlen sich Menschen nicht mehr ernst genommen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Brigitte Hofmeyer (SPD))
Der Tod ist so vielfältig wie das Leben selbst und so vielfältig wie die Vielzahl der in unserem Lande lebenden Menschen. Daher kann ich diesen Absolutheitsanspruch, den ich aus Ihrer Rede vernommen habe, Herr Innenminister: "Wir wollen die abendländische Bestattungskultur sozusagen als Dach über die Neuregelung des Bestattungswesens legen", so nicht nachvollziehen. Wir müssen einen Gesetzentwurf vorlegen, der der Mehrheit der Menschen in diesem Land entspricht, der Mehrheit der Bedürfnisse nachkommt und die Vielfalt, die wir im Leben haben, auch im Bestattungswesen nachvollzieht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Positiv kann man durchaus anmerken, dass der Gesetzentwurf verschiedene Regelungen aus unterschiedlichen Verordnungen zusammenführt und alles in einem Gesetz zusammenfasst. Zu begrüßen ist auch die Neuregelung im Umgang mit tot geborenen Kindern und Fehlgeburten. Wenn Eltern es wollen, können künftig auch fehlgeborene oder tot geborene Kinder bereits vor dem sechsten Schwangerschaftsmonat bestattet werden. Damit kommt der Gesetzgeber einem Bedürfnis von Eltern nach, verstorbene Kinder unabhängig vom Entwicklungszustand der Schwangerschaft bestatten zu können und so einen Ort der Trauer und Trauerbewältigung zu haben.
Aber es gibt weitere Themen, mit denen ich nicht zufrieden bin und wo es von unserer Seite noch keine uneingeschränkte Zustimmung gibt. Da hoffe ich, dass wir uns im Ausschuss noch ein bisschen annähern. Ich möchte auf drei Bereiche eingehen: Friedhofszwang, Friedwälder und Sargzwang.
Beim Friedhofszwang haben Sie sich nicht dazu durchringen können, den Friedhofszwang für Urnenbestattungen ein Stück zurückzunehmen. Hier gibt es ein ganz starres Festhalten an bisherigen Regelungen. Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen. Ich finde es schade, dass Sie nicht den Mut gehabt haben, zu einer Fortentwicklung des Rechts zu kommen. Warum können wir es nicht beispielsweise Kommunen über eine Öffnungsklausel ermöglichen, in ihrer eigenen Satzung festzulegen, wie sie bestimmte Fälle regeln, wenn sie eindeutige Wünsche von Verstorbenen haben und wenn auch der würdige Umgang mit der Urne und der Asche der Verstorbenen gewährleistet ist? Dann hätten wir doch eine Möglichkeit, zu klären, ob die Aufgabe des Friedhofzwangs zum Untergang des Abendlandes führt. Da hätten wir doch eine Möglichkeit, einmal nachzusehen, wie sich das auswirken würde.
Es gibt durchaus Länder in der westlichen Welt, die keinen strikten Friedhofszwang haben und die trotzdem einen würdigen Umgang mit den Verstorbenen hinbekommen. Es sind z. B. Frankreich, Dänemark, Portugal, Spanien, Italien und die Niederlande. Sie hören, darunter sind auch Länder, in denen die christliche Tradition eine noch stärkere Bedeutung hat als in Deutschland. Trotzdem wird auch dort mit Tod und Trauer würdevoll umgegangen. Das zeigt aus meiner Sicht: Es gibt nicht nur eine Wahrheit in der Frage, wie ich mit Trauer und Trauerbewältigung umgehe. Bestattung ist etwas Höchstpersönliches, etwas Höchsteigenes. Da könnte man versuchen, sich ein bisschen mehr den gewandelten Bedürfnissen auch der Überlebenden anzupassen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will nicht verhehlen, das wir in unserer Fraktion noch keine abschließende Meinung dazu haben und darauf setzen, was die Ausschussberatung noch an neuen Erkenntnissen bringt.
Ein Thema in Hessen sind die Friedwälder; Frau Kollegin Hofmeyer, dass haben Sie auch angesprochen. Es gibt immer mehr Menschen, die für sich die Bestattung ihrer Asche in einem solchen Friedwald wünschen. Bisher gab es Probleme bei der Ausweisung. Jetzt schafft dieser Gesetzentwurf eine Hilfskonstruktion. Man versucht über die Hilfskonstruktion "Wir können es einfrieden, wir können einen Bebauungsplan darüber legen, wir wollen, dass der Friedwald als eindeutige Ruhestätte zu erkennen ist", eine Brücke zu bauen, um den Friedwald hinzubekommen. Das ist ein ganz vorsichtiger Schritt, eher ein Trippelschritt, in eine richtige Richtung, den wir uns etwas deutlicher wünschen. Auch hierzu sollten wir im Ausschuss sehen, dass wir ein anderes Signal hinbekommen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Brigitte Hofmeyer (SPD))
Der letzte Punkt, den ich in dieser ersten Lesung ansprechen möchte, ist das Festhalten am Sargzwang. Das ist für mich ein ganz zentrales Thema dieses Gesetzentwurfs. Nach diesem Entwurf ist es nicht möglich, Verstorbene ohne Sarg zu bestatten. Herr Innenminister, der Kompromiss, den Sie für sich in Anspruch genommen haben, ist keinesfalls gelungen. Das sehe ich auf keinen Fall so. Der Sargzwang erschwert es Menschen muslimischen Glaubens, ihre Verstorbenen auf hessischen Friedhöfen zu bestatten. Im Gesetzentwurf wird zwar postuliert, dass jede Bestattung nach den eigenen weltanschaulichen Riten zu erfolgen habe. Aber in der Ausführung legen Sie gerade unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern muslimischen Glaubens erst einmal eine Hürde in den Weg. Sie dürfen ihre Verstorbenen nicht ohne Sarg bestatten. Nur über eine Ausnahmegenehmigung – also auch hier wieder eine Hilfskrücke – soll es gestattet werden, im Augenblick des Versenkens des Sarges den Sargdeckel zu entfernen, um so den Glaubensgrundsätzen der Muslime annähernd gerecht zu werden.
Ich frage mich: Warum muss das eigentlich so sein? Warum starten wir in einem neuen Gesetz - und wir wollen in Hessen moderne Gesetze machen – mit so einer Hilfskonstruktion? Warum sind wir nicht ein Stückchen mutiger und versuchen auch hier, die Menschen muslimischen Glaubens anders in unsere Kultur einzubinden? Auch das ist aus meiner Sicht ein Parameter für Integration.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt sicher Gründe, warum man Verstorbene in fest schließenden Behältern bestatten muss. Gesundheitliche Gründe: Wenn es gesundheitliche Gefahren für die Lebenden gibt, muss man das so machen. Aber in allen anderen Fällen müsste es nach meiner Überzeugung möglich sein, Verstorbene ohne Sarg zu bestatten. Das praktiziert man in Hamburg so, und ich habe noch nicht gehört, dass in Hamburg der Untergang der christlichen abendländischen Kultur ausgerufen würde. Ich frage mich: Warum machen wir das, was uns die Hamburger vormachen, nicht auch in Hessen? Warum versuchen wir nicht, an diesem Punkt ein wenig mehr Offenheit hinzubekommen und uns der Lebenswirklichkeit in unserem Land anzunähern, auch der Lebenswirklichkeit im Bestattungswesen? – Ich danke Ihnen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
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