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5. September 2007
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mangelnde Wahlbeteiligung, Politikferne in weiten Kreisen der Bevölkerung waren schon öfter ein Thema im Hause. Mehr Wahlbeteiligung und mehr Engagement können wir nicht per Gesetz verordnen. Zumindest wir wollen auch keine Wahlpflicht festschreiben.
(Michael Boddenberg (CDU): Wer will denn das?)
Es gibt eine Vielzahl von Wegen, Mitbürgerinnen und Mitbürger in praktische Politik einzubinden. Ich möchte mich heute auf die kommunale Ebene beschränken. Dazu haben wir Ihnen unseren Gesetzentwurf vorgelegt.
Vor der Sommerpause haben wir über einen Gesetzentwurf der FDP beraten, der sich damit beschäftigte, über Änderungen des Kommunalwahlrechts Veränderungen herbeizuführen. Wir haben uns dabei sehr differenziert verhalten. Ich bitte – das sage ich in Richtung der FDP – das noch einmal Revue passieren zu lassen. Unser Gesetzentwurf zur Änderung der HGO verfolgt einen anderen Ansatz als der Gesetzentwurf der FDP. Deshalb wäre die Beratung gemeinsam mit der Änderung des Kommunalwahlrechts völlig fehl am Platz gewesen.
Wir haben uns bei unseren Überlegungen zu dem Gesetzentwurf zur Änderung der HGO und der HKO von drei Grundideen leiten lassen. Wir wollten jungen Menschen möglichst früh ein Mitwirkungs- und Mitbeteiligungsrecht einräumen. Wir wollten möglichst viele Menschen an der Kommunalpolitik beteiligen, und zwar jenseits der Frage, ob jemand wahlberechtigt ist oder nicht.
Damit wollen wir in allen Bereichen, in denen es möglich ist, das Einwohnerprinzip einführen. Wir wollen drittens Hürden und Beschränkungen abbauen, um den Zugang zur Kommunalpolitik zu erleichtern.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Man kann es auch kurz fassen: möglichst früh, möglichst viele, möglichst einfach oder, wenn Sie so wollen, ein niedrigschwelliges Angebot in der Kommunalpolitik.
Diese Überlegungen haben uns zu ganz konkreten Vorstellungen geführt. Das Einfachste wäre, zunächst aus einer Bürgerversammlung eine Einwohnerversammlung zu machen. An diesem Prinzip möchte ich es deutlich machen. Bisher haben nur Bürger – das sind wahlberechtigte Menschen – in einer Kommune das Recht auf Teilnahme an der jährlichen Bürgerversammlung. Nur sie muss der Vorsitzende einer Gemeindevertretung einladen und über wichtige Angelegenheiten der Kommune informieren. Sie alle wissen, in einer Kommune passieren ganz lebenspraktische Dinge. Da geht es um Jugendarbeit, es geht um Kindergärten, um Bebauungspläne, um Müllabfuhr. Es ist daher überhaupt nicht einzusehen, dass sich die Informationspflicht nur auf die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger beschränkt. Warum nicht auf dieser Ebene die Menschen mit Migrationshintergrund einbeziehen, alle diejenigen, die nicht Deutsche sind, aber zum Zusammenleben in unseren Kommunen einen ganz erheblichen und wertvollen Beitrag leisten?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denken Sie bitte daran, dass z. B. einer Stadt wie Wiesbaden demnächst 40 % der Jugendlichen einen Migrationshintergrund haben werden. Da brauchen wir auf allen Ebenen taugliche Mechanismen, um Menschen einzubinden und sie zu integrieren, ihnen Mitarbeit und Mitwirkung anzubieten.
In die gleiche Richtung geht unser Vorschlag, einen Einwohnerantrag neu in die HGO und spiegelbildlich in die HKO aufzunehmen. Einwohner ab 14 sollen Möglichkeiten bekommen, Anträge an das Gemeindeparlament zu richten. Wir wollen also möglichst jungen Menschen unabhängig von ihrem Wahlrecht die Chance einräumen, sich für ihre Anliegen einzusetzen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Jugendliche, die in ihrer Kommune Unterschriften für einen Jugendraum oder für eine Skaterbahn sammeln und so für ihr Anliegen werben, hier eine ganz praktische Einheit Politikunterricht bekommen, so lebensnah und so praxisnah, wie ihn vermutlich kein Schulunterricht jemals vermitteln kann.
Da wir Jugendlichen etwas zutrauen, wollen wir auf kommunaler Ebene das Alter für das Wahlrecht herabsetzen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))
Wir sind davon überzeugt, dass sich junge Menschen mit Vorgängen in ihrer Stadt, in ihrer Kommune auch mit 16 so vertraut gemacht haben, dass sie verantwortlich entscheiden können. – Wir können uns über die Altersfrage vielleicht nachher noch unterhalten, Herr Wintermeyer. Vielleicht kommen wir zu einem anderen Ergebnis.
Wir möchten mit dieser Verschiebung beim aktiven Wahlrecht den Fokus in der Kommunalpolitik verschieben. Wenn Sie sich vor Augen halten, wer in der Kommunalpolitik die Leitlinien bestimmt, dann kommen Sie sehr schnell darauf, dass es die Gruppe der mittelalten Herren ist. Wir wollen hier den Fokus ein bisschen auf die jüngere Generation verschieben. Ich glaube, dafür wäre die Herabsenkung des Wahlalters ein guter Weg.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen weiterhin, dass an der Kommunalpolitik interessierte Menschen aus ihrer Rolle als Zaungast in der Gemeindevertretersitzung herauskommen. Wir wollen ihnen daher die Möglichkeit einer Fragestunde einräumen. Damit könnten sich Gemeindevertretersitzungen, Stadtverordnetenversammlungen und Kreistage ein Stück an Lebendigkeit zurückerobern. Das halten wir für einen guten Weg, mehr Öffentlichkeit in die Gemeindeparlamente zu tragen.
Neu schlagen wir Ihnen ein Petitionsrecht auf Gemeinde- und Kreisebene vor, damit Einwohnerinnen und Einwohner sich direkt mit Eingaben an die Gemeindevertretung oder den Kreistag wenden können.
Wir legen all diese Instrumente bewusst so an, dass sie für Einwohner leicht handelbar sind und keine neuen Hürden aufgebaut werden. Denn ich sagte: Wir wollen einen möglichst einfachen und leichten Zugang bieten.
In den Bereich Abbauen von Hürden fällt auch die Absenkung von Quoren. Wir alle haben sicherlich noch die Quoren für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide im Kopf. Das Einleitungsquorum für einen Bürgerentscheid beträgt bisher 10 Prozent. Das ist in relativ großen Kommunen fast nicht leistbar. Das zeigt auch die Praxis. Man kann es spiegelbildlich sehen: Je größer die Kommune, umso weniger Bürgerentscheide werden in diesen Kommunen durchgeführt. Hier schlagen wir Ihnen nach Größenklasse der Kommunen gestaffelte Quoren vor. Wir haben das nicht aus der Luft gegriffen, sondern wir haben uns an der Gemeindeordnung in Bayern orientiert. Die haben ein noch viel tiefer gestaffeltes System. Wir haben hier drei Größenklassen vorgeschlagen, und wir denken, wenn man für die großen Kommunen ein handelbares Quorum hat, werden die Bürgerentscheide und Bürgerbegehren vor Ort sehr viel einfacher.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich hab Ihnen damit einige Punkte sozusagen aus dem Außenverhältnis der Hessischen Gemeindeordnung vorgestellt: Gemeindevertretung und Bürgerinnen und Bürger bzw. Einwohner. Ich möchte jetzt noch auf zwei Punkte der inneren Organisation der Gemeindevertretung eingehen.
Die letzte Änderung der Hessischen Gemeindeordnung hat dazu geführt, dass Fraktionen eine Mindeststärke von zwei Personen haben müssen. Das hat die Mehrheit so beschlossen. Wir haben es damals nicht für richtig gehalten. Dennoch schlagen wir Ihnen nicht vor, das wieder zurückzudrehen. Wir möchten aber eine Unwucht in der Hessischen Gemeindeordnung beseitigen. Dieser Zwei-Personen-Status von Fraktionen führt nämlich dazu, dass Gruppierungen, die nur eine Person im Kommunalparlament haben, kein Rederecht mehr im Ausschuss haben. In der parlamentarischen Arbeit führt das zu Problemen, die man aber sauber ausräumen kann.
Stellen Sie sich vor, eine Gemeindevertreterin oder ein Gemeindevertreter, der keine Fraktion hat, also alleine in einer Gemeindevertretung ist, kann zwar im Parlament einen Antrag stellen, er darf ihn aber im Fachausschuss nicht begründen und auch nicht dazu reden. Ich denke, das wird der Arbeit im Parlament nicht gerecht. Dann müssen wir die gesamte Debatte wieder im Parlament führen lassen. Ich denke, solche Konstruktionen müssen wir sauber lösen. Wir dürfen uns hier nicht auf Hilfskrücken verlassen.
Wir schlagen Ihnen daher vor, zur Lösung dieses Problems fraktionslosen Gemeindevertretern ein Rederecht im Ausschuss einzuräumen. Wir denken, dass der Parlamentsbetrieb damit ein Stück reibungsloser vorangehen kann.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein weiterer Vorschlag ist, dass künftig die Protokolle über Gemeindevertretersitzungen veröffentlicht werden, damit alle Bürgerinnen und Bürger Einsicht darin nehmen können, was in ihren Parlamenten beschlossen wurde.
Wir stellen Ihnen hiermit einen ganzen Strauß von Änderungen vor, der dazu führen kann, dass Kommunalpolitik überschaubarer wird, näher an die Bürgerinnen und Bürger heranrückt. Wir machen Ihnen ein Angebot, damit gemeinsam mit uns an morgen zu denken. Wir bitten Sie um eine breite Zustimmung.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Ruth Wagner:
Danke sehr.
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